Montag, 28. August 2017
Wenn der katholische Filmdienst warnt...



Man könnte fragen „Hat sie denn nix anderes zu tun als permanent Filme und Serien zu gucken?“
Doch. Hat sie. Und tut sie auch. Aber ja: ich mag Filmabende und –nachmittage und hocke mich a hard day’s night gerne vor die Flimmerkiste um mich in andere Universen und fremde Leben entführen zu lassen. Dazu werden Filme schließlich gemacht.
Gestern war ich im London der 60er Jahre.
„Augen der Angst“ ist der ziemlich reißerische Titel eines britischen Psychothrillers der 1960 in die Kinos kam. Der Originaltitel „Peeping Tom“ wird dem stillen Grauen des Film wesentlich gerechter.
Der Film erzählt die Geschichte eines Serienmörders, der aus Lust mordet. Aus Lust an der Todesangst in den Augen junger schöner Frauen. Er filmt die Morde die er begeht mit einer Kamera die er immer und überall bei sich trägt und sieht sich die Filme nächtelang in seiner Dachwohnung an.
Da der Zuschauer vom ersten Moment an weiß, wer der Täter ist, ist er den Opfern immer zwei Schritte voraus und scheinbar harmlose Szenen und Dialoge lassen das schrecklichste ahnen. Und die schrecklichen Dinge steigern sich zum kaum aushaltbaren.
Dabei ist im ganzen Film kaum ein Tröpfchen Blut zu sehen. Den Horror macht das aus, was man nicht sieht. Mehr will ich über die Handlung des Films nicht verraten, denn auch ich hatte nur eine blasse Vorstellung davon worum es geht und wußte nur, daß ich den Film schon lange mal sehen wollte.
Wäre „Augen der Angst“ eine deutsche Produktion wäre er das, was sein Titel vermuten lässt: eine weitere unterhaltsame, aber kaum ernst zu nehmende Edgar-Wallace-Schmonzette.
Die Rolle des mordenden Kameramanns hätte Klaus Kinski gespielt, dem man schon bei flüchtigster Betrachtung angesehen hätte, daß er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, und bei dem man sich, wie so oft, mal wieder gefragt hätte, warum um Alles Scotland Yard ihn nicht einfach mal vorsorglich einsperrt. Die Unschuldsvermutung gilt auch im Krimi erstmal für jeden. Außer für Klaus Kinski.
Nun ist „Augen der Angst“ aber keine deutsche Produktion, sondern eine Britische. Nicht alles ist in meinen Augen gelungen, die Szenen die im Rotlichtmilieu und in Fotostudios spielen in denen harmlose Opa-Pornos fotografiert werden sind manchmal hart an der Grenze zur Komik. Aber eben nur an der Grenze und eben nur manchmal.
Denn da ist Karlheinz Böhm.
Ein Karlheinz Böhm der einen Serienmörder abliefert, der einem Nachts über die Bettdecke laufen kann.
Beim Onlinehändler dessen Namen an einen großen Fluß erinnert, hat ein Käufer geschrieben
„Was ich allerdings unbedingt noch loswerden möchte/muss, ist ein Riesenlob an Böhm, der hier, und ich übertreibe keineswegs, die (Film)rolle seines Lebens spielt.“
Ja. Genauso ist das.
Genutzt hat es ihm wenig.
Der Film löste einen Skandal aus. Der katholische Filmdienst bezeichnete ihn als „Krankhaft, abwegig und peinlich geschmacklos“. (Aber wie sagt Götz Alsmann: „Da wusste ich, das ist mein Film!“ )
Das filmschauende Deutschland war so entsetzt, den herzigen Kaiser Franzl aus den Sissi-Filmen als zutiefst verstörenden und verstörten Mörder zu erleben, daß die Karriere des Künstlers einen derben Knick erlebte.
Regisseur Michael Powell hat es noch übler erwischt, seine Karriere war nahezu zuende, er hat sich beruflich nie wieder von einem Film erholt, der heute als eines der ganz großen Meisterwerke des Genres (und ich behaupte einfach mal der Filmgeschichte überhaupt) gilt.
Wenn in Zukunft irgendwo irgendwer wieder eine grauenvolle Tat begeht und es dann, wie das so üblich ist, heißt „Er war ein stiller, ruhiger Mensch. Wir hätten nie gedacht das...“ Werde ich an Karlheinz Böhm und seine Filmfigur Mark Lewis denken.

https://www.youtube.com/watch?v=zBwumwD1Mso

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Sonntag, 20. August 2017
Sie wollte wie Orpheus singen...

Gestern war großer Heimkinoabend mit guten Freunden.
Auf dem Programm stand ein Film, den wir alle schon lange sehen wollten: „Florence Foster-Jenkins“.
Für die drei Menschen auf der Welt, die tatsächlich noch nicht wissen wer Florence Foster-Jenkins war: sie war eine sehr reiche, sehr musikliebende und sehr schlecht singende Amerikanerin, die sich ihren Lebenstraum vom Gesang dennoch erfüllt hat. Legendär ist ihr Auftritt in der Carnegie Hall im Jahr 1944. Legendär sind auch die Aufnahmen von verschiedenen Opernarien die sie für RCA eingesungen hat. Sie sind...skurill. Nicht nur, daß FFJ die Töne mit einer Seltenheit trifft die selbst für Laiensänger ungewöhnlich ist, sie hat sich auch grundsätzlich die schwersten Brocken des Koloraturrepertoires (und für eine Koloratursängerin hat sie sich gehalten) vorgenommen. „Der Hölle Rache“ aus der Zauberflöte, die Glöckchenarie aus „Lakmé“, „Mein Herr Marquis“ aus der „Fledermaus“ von Johann Strauss (Oh ja meine Damen und Herren Snobs. Operette IST anspruchsvoll und schwer zu singen!).
Begleitet wurde sie dabei von dem Pianisten Cosmé McMoon, dessen stoische Gelassenheit und dessen Eingehen auf die Eigenwilligen Tempi der Sängerin man nur stumm und staunend bewundern kann.
Fosters Biographie ist wie immer bei Wikipedia nachzulesen, so daß ich hier nicht näher darauf eingehen muß, außerdem will ich nicht allzu viel über den Film verraten, der die historischen Geschehnisse weitestgehend korrekt wiedergibt.
Es ist ein Leichtes, sich über Foster-Jenkins und ihre Aufnahmen lustig zu machen und sie als Witzfigur darzustellen. Meryl Streep, die wohl großartigste lebende Schauspielerin der Welt, tut dies in keiner einzigen Sekunde. Ihre Florence ruft bisweilen Tränen des Gelächters hervor, aber sie ist niemals lächerlich. Man empfindet tiefes Mitgefühl mit ihr, aber sie ist in keinem Augenblick mitleiderregend. Meryl Streep zeichnet das Bild einer Frau. der das Leben übel mitgespielt hat, und deren größte Liebe immer der Musik galt. Und die ein großes Herz für Menschen hat.
An ihrer Seite Hugh Grant als aufopfernd liebender Ehemann St. Clair Bayfield, der seine ganz eigene Auffassung vom dem hat, was unter dem Begriff „Treue“ zu verstehen ist, und Simon Helberg als Pianist Cosmé McMoon.
Simon Helberg? Das ist doch...ja. Howard aus „The Big Bang Theory“. Er ist großartig und es sollte erwähnt werden, daß er alle Klavierparts selber spielt, denn Simon Hellberg ist ausgebildeter Pianist. Hugh Grant hat mir, außer in „Eine sachliche Romanze“ wo er großartig ist, bisher in keiner anderen Rolle so gut gefallen wie hier. Seine Mischung aus Lebemann, Hochstapler und tief liebendem Ehemann hat ein paar Augenblick die man so schnell nicht vergiss.
Und Meryl Streep?
Wie gesagt, sie ist die größte lebende Schauspielerin. Eine Ansicht, über die höchstens dann nachzudenken bereit bin, wenn jemand den Namen „Helen Mirren“ in die Runde wirft.
Auch ich habe schon zu später Stunde über FFJs Aufnahmen gelacht, aber wie man es auch dreht und wendet: es gehört verdammt viel Mut dazu, sich vor ein Publikum zu stellen und sich an „Der Hölle Rache“ zu versuchen. Und zu guter letzt ist FFJ die Vorläuferin und die Schutzheilige all der Heerscharen von jungen Menschen die stimmlich eher wenig begabt sind und die doch in das Haifischbecken der Castingshows steigen weil es nun mal ihr Traum ist, zu singen und Erfolg zu haben. Es sind nicht die Florence Foster-Jenkins’ dieser Welt über die vernichtende Urteile zu sprechen wären, sondern die Medienwiderlinge die um der Quote willen junge Menschen und ihre Träume zerfetzen und in Stücke reißen.
Florence Foster-Jenkins und mich verbindet eines: sie liebte die Musik, sie war Amateursängerin (und ich verwende den Begriff Amateur weil er „Liebhaber“ bedeutet) und sie wollte wie Orpheus singen.
So wie ich.

https://www.youtube.com/watch?v=-fXgVs2cgqY

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Dienstag, 15. August 2017
Anna


Im Fanatasyepos "Der Herr der Ringe" gibt es eine Szene in der Gimli nach dem Besuch bei Frau Galadriel und Herrn Celeborn feststellt "Ich habe mir bei diesem Besuch die schlimmste Wunde zugezogen: ich habe zum letzten mal gesehen, was wirklich schön ist. Von nun an nenne ich nichts mehr schön, es sei denn, ihr Geschenk an mich".
Das Geschenk bestand aus drei Strähnen von Galadriels goldenem Haar.
Diese Worte gehen mir seit einigen Tagen nicht mehr aus dem Sinn. Beim surfen auf Youtube habe ich etwas entdeckt von dem ich nicht wußte, daß es existiert: ein Filmdokument der tanzenden Anna Pawlowa.
Nachdem ich den kurzen Film gesehen habe, der Anna Pawlowa in ihrer wohl berühmtesten Rolle zeigt, glaube ich, daß es Menschen gegeben hat, die nach Anna Pawlowas viel zu frühem Tod ganz ähnlich empfunden haben wie Tolkiens Romanfigur.
Ich habe oft die Anmut, die Grazie, die Schönheit des klassischen Balletts bewundert, und ich bin eine große Ballettfreundin, aber diese gerade einmal zwei Minuten aus dem Jahr 1905 (!) sind eine ganz besondere, einzigartige kostbarkeit und eigentlich ist jedes Wort das man darüber spricht oder schreibt eines zuviel.
Mein Mann hat es, nachdem wir uns den Film gemeinsam angesehen haben auf den Punkt gebracht: „Man vergisst, daß sie nicht fliegen kann“.
Ich möchte hinzufügen „Man vergisst, daß sie ein Mensch ist“. Wir sehen keine weltberühmte Tänzerin in dem was manche so geschmacklos ihre „Paraderolle“ nennen. Wir sehen ein sterbendes Tier, und wir sehen die Seele dieses Tieres.
Ich schreibe hier nichts über ihre Biographie, das Internet ist voll von Artikeln über Anna Pawlowa. Ich möchte hier nur etwas teilen, das zum schönsten und zum traurigsten gehört, das ich je gesehen habe.

„Der sterbende Schwan“
Musik: Camille Saint-Saens
Choreographie:Mikhail Fokine
Tänzerin: Anna Pawlowa
1905

https://www.youtube.com/watch?v=QMEBFhVMZpU


Anna Pawlowa ist im Alter von 49 Jahren während ihrer Abschiedstournee in Den Haag an einer Lungenentzündung gestorben. Im Fieber soll sie nach ihrem Schwanenkostüm verlangt haben.

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