Donnerstag, 7. September 2017
Lieber Harry Rowohlt...
Lieber Harry Rowohlt,

ich habe in meinem Leben genau zwei wirklich gute Ratschläge bekommen.
Der erste kam von Helmuth Gote (sie kriegen auch noch ihren Brief!), und den zweiten haben Sie mir gegeben.
Er lautet: wer als Kind nicht „Pu der Bär“ gelesen hat, sollte das als Erwachsener dringend nachholen.
Und ich mußte ihnen versprechen, das zu tun. Oder vielmehr: wir, die iwr ihre Kolumne „Pooh’s Corner“ gelesen haben und lesen mussten ihnen das versprechen.
Es war der beste Ratschlag meines Lebens. Vielleicht war es aber auch niur der zweitbeste, den der andere Rat, der von Herrn Gote, hatte mit Essen zu tun, und das ist ja auch wichtig.
Aber gute Bücher und gutes Essen waren ja schon immer Verbündete im allgemeinen Ringen um den Seelenfrieden, also geht das wohl in Ordnung.
Also. Danke.
Ehe ich die Bücher gelesen habe, habe ich sie gehört. Mit ihrer Stimme und von Ihnen übersetzt.
Wenn ich mal...einmal muß es ja doch sein...also wenn ich dann das letzte Kapitel höre, von Ihnen gelesen... es gäbe unschönere Abgänge.
Jetzt ist es schon mehr als zwei Jahre her, daß Sie sich auf den Weg zu Gideons Nadelöhr gemacht haben. Ich hoffe, Sie sind gut angekommen und haben es schön.

Herzlichst und für immer

Ihre Mina (Kaninchen mit Aszendent Klein Ruh. Sie wissen schon...)

P.S.
Bisher hat IMMER das Kapitel gewonnen. Immer.

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Freitag, 10. Juli 2015
Das schönste Buch der Welt
Ein Buch, das ich, in meinem Beruf und als Privatperson, immer wieder empfehle und gerne verschenke ist ein amerikanischer Roman aus dem Jahr 1960. Er erzählt die Geschichte einer Kindheit im tiefen Süden der 30er Jahre, er erzählt von Freundschaft, Rassismus und Gerechtigkeit, von Abenteuer, Erwachsenwerden und wahrem Heldenmut. Er duftet nach heißen, staubigen Sommertagen, er fühlt sich an wie warme Nächte auf der Veranda vor dem Haus wenn der Wind endlich etwas Kühlung bringt, er klingt nach dem Zirpen von Grillen, und nach Vogelgesang am Abend, und erinnert auf bewegende Weise an Huckleberry Finn und Tom Sawyer. Selbstverständlich ist die Rede von „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee, und selbstverständlich ist es das schönste Buch der Welt.



„Wer die Nachtigall stört“, das im Englischen „To kill a mockingbird“ heißt, soll, jedenfalls in Amerika, das am meisten verkaufte Buch nach der Bibel sein. Ganz sicher wird es häufiger gelesen. Es erzählt die Geschichte von Jean Louise Finch, genannt Scout. Sie ist 6 Jahre alt und erlebt einen ganz normalen Sommer mit ihrem Bruder Jem und dem gemeinsamen Freund Dill, sie spielen, sie streiten sich, sie bestehen kleine Abenteuer und müssen größere und kleinere Probleme in der Schule meistern als diese wieder beginnt. Scouts kindliche Phantasie beschäftigt sich mit Boo Radley, dem Sohn des Nachbarn, den sie nie gesehen hat und der so gut wie nie das Haus verlässt, und hadert mit der unsympathischen Nachbarin Mrs. Dubose, die den mutigsten Kampf kämpft den ein Mensch führen kann, aber noch ist Scout zu klein um das zu verstehen.

Und doch ist dieser Sommer der eine, ganz besondere Sommer ihres Lebens. Scouts Vater, der Anwalt Atticus Finch übernimmt die Verteidigung eines Schwarzen, der eine weiße Frau vergewaltigt haben soll. Scout beobachtet diesen Prozeß, in dem es schon bald nicht mehr um Schuld und Unschuld geht, mit den naiven und gerade darum unbestechlichen Augen eines Kindes, nach diesem Sommer wird sie eine andere sein und Leser wird sich immer wieder nach diesem Buch und nach diesem Sommer sehnen.
Der Roman wurde wenige Jahre nach seinem Erscheinung verfilmt, Gregory Peck spielte Scouts Vater Atticus Finch, der 2003 vom American Film Institute zum „größten Helden der amerikanischen Filmgeschichte“ gewählt wurde. Der Film gibt nahezu perfekt die Stimmung des Buches wieder und gehört zu den besten Literaturverfilmungen aller Zeiten, auch wenn er selbstverständlich nicht alle Facetten des Romans aufzeigen kann.



Jahrzehntelang glaubte man, „Wer die Nachtigall stört“ sei der einzige Roman von Harper Lee. Ein singuläres Ereignis, das nicht zu wiederholen sei. Dann das Unglaubliche: im Herbst 2014 (nach anderen Quellen bereita 2011) taucht plötzlich ein Manuskript auf, das unzweifelhaft von Harper Lee stammt, VOR „Wer die Nachtigall stört“ geschrieben wurde und die Geschichte aus Sicht der erwachsenen Scout erzählt. Ein Manuskript das, warum auch immer, jahrzehntelamg in einer Schublade geschlummert haben soll. In wenigen Tagen wird es unter dem Titel „Go Set a Watchman“ erscheinen. Die Medien bombardieren uns jeden Tag mit angeblichen Sensationen. Dies ist wirklich Eine.

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Sonntag, 5. Juli 2015
Die Untote Kurtisane


Vampirgeschichten sind in aller Regel meine Sache nicht. Anne Rice' grandiosen Roman "Schule der Vampire/Interview mit einem Vampir" und paar Filme ausdrücklich ausgenommen, fange ich bei Geschichten von blutsaugenden Untoten regelmäßig an mich zu langweilen und gebe irgendwann auf.
Ganz schlimm sind die Vampirromane der neueren Generation, Stephenie Meyer hat mit ihren glitzernden, politisch korrekten Vampirkarikaturen viel literarisches Elend in die Welt gebracht und wenn es denn Gott an den sie glaubt tatsächlich gibt, wird sie sich eines Tages dafür verantworten müssen.

Einen Roman gibt es allerdings dann doch, den ich mit viel Freude gelesen habe: "Blood Diva" von VM Gautier.
"VM Gautier" ist ein Pseudonym, steht für "Violetta" "Marie" und "Gautier" und verrät uns, wer die Heldin der Geschichte ist: eine Frau die als Marie Duplessis im 19. Jahrhundert in Paris gelebt hat und als Violetta Valéry und Marguerite Gautier in die Musik- und Literaturgeschichte eingegangen ist. Marie Duplessis war das Vorbild für Alexandre Dumas' Roman "Die Kameliendame" und Giuseppe Verdis Oper "La Traviata".
In Wirklichkeit war sie ein ungebildetes Bauernmädchen aus der Normandie, das nach einer traumatischen Kindheit mit etwa 15 Jahren nach Paris gekommen ist und innerhalb weniger Jahre zu einer der schönsten, gebildetsten und kostspieligsten Kurtisanen von Paris wurde.



Alexandre Dumas, der ihr mit seinem Roman und dem etwas später entstandenen Theaterstück ein Denkmal gesetzt hat, gehörte zu ihren Liebhabern, ebenso Franz Liszt. Marie Duplessis führte einen Salon, in dem einige der klügsten Männer Frankreichs zu Gast waren und hatte keinesfalls nur Schlafzimmertalente.
Mit nur 23 Jahren ist sie am 3. Februar 1847 in Paris an der Tuberkulose gestorben. Viele Menschen besuchen noch heute ihr Grab auf dem Pariser Montmartre-Friedhof.
Ich bin einer davon.


Aber was, wenn Marie gar nicht gestorben ist? Was, wenn ihr in buchstäblich letzter Minute ein Angebot gemacht worden wäre das sie nicht ablehnen konnte? Das Angebot ewiger Jugend,
ewiger Schönheit, ewigen Lebens und - ewiger Gesundheit?
Was, wenn Marie Duplessis nicht hätte ablehnen können und unter uns lebte? Unerkannt und mit wechselnden Identitäten?
In Gautiers Geschichte lebt Marie mittlerweile in New York, nennt sich "Alphonsine" (was tatsächlich Marie Duplessis Taufname war) und arbeitet für eine Kunstgalerie.
Wie alle modernen Autoren von Vampirromanen räumt Gautier mit Vampirmythen auf die der Handlung ihrer Geschichte im Wege stehen und ersetzt sie durch Neue oder interpretiert sie auf moderne Weise.
Aseptisch und politisch korrekt sind ihre Vampire nicht: es wird tatsächlich getötet, und das mit Freude und Lust. Und da wir bei der Lust sind: wer mit sehr deutlichen Beschreibungen erotischer Vorgänge Probleme hat, sollte das Buch meiden wie der Vampir die Sonne. Es ist Teil der gautierschen Vampirwelt das nach erfolgter Bluttat geschnackselt wird was das Zeug hält.
Das nervt nach einiger Zeit ein bisschen und kann getrost überlesen werden. Ansonsten ist das buch durchaus unterhaltsam, vor allem wenn man eine Affinität zu Oper und Literatur hat und sich ein wenig in der Biographie von Marie Duplessis auskennt.
Es ist ein bisschen wie in "The Big Bang Theory": auch naturwissenschaftliche Versager wie ich lieben die Serie, aber Physiker haben mehr Spaß daran, weil sie Witze und Anspielungen verstehen von denen ich nicht mal mitkriege dass sie gemacht wurden.
Ich empfehle das Buch Allen, die sich schon immer gefragt haben, wie Vampire in einer modernen Welt mit all ihren Überwachungskameras, ihren Facebookeinträgen und ihrem Internet das nie etwas vergisst überhaupt ihre Tarnung wahren könnten und die spaß an einer Geschichte habe, in der sich historische Fakten, literarische Verarbeitung und Fantasyelemente vermischen.
Ach ja: Englisch sollte man können, denn bisher ist das Buch nicht auf Deutsch erschienen, und ich denke auch nicht, dass das irgendwann mal der Fall sein wird.

http://www.blooddiva.com/

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