Sonntag, 5. Juli 2015
Die Untote Kurtisane


Vampirgeschichten sind in aller Regel meine Sache nicht. Anne Rice' grandiosen Roman "Schule der Vampire/Interview mit einem Vampir" und paar Filme ausdrücklich ausgenommen, fange ich bei Geschichten von blutsaugenden Untoten regelmäßig an mich zu langweilen und gebe irgendwann auf.
Ganz schlimm sind die Vampirromane der neueren Generation, Stephenie Meyer hat mit ihren glitzernden, politisch korrekten Vampirkarikaturen viel literarisches Elend in die Welt gebracht und wenn es denn Gott an den sie glaubt tatsächlich gibt, wird sie sich eines Tages dafür verantworten müssen.

Einen Roman gibt es allerdings dann doch, den ich mit viel Freude gelesen habe: "Blood Diva" von VM Gautier.
"VM Gautier" ist ein Pseudonym, steht für "Violetta" "Marie" und "Gautier" und verrät uns, wer die Heldin der Geschichte ist: eine Frau die als Marie Duplessis im 19. Jahrhundert in Paris gelebt hat und als Violetta Valéry und Marguerite Gautier in die Musik- und Literaturgeschichte eingegangen ist. Marie Duplessis war das Vorbild für Alexandre Dumas' Roman "Die Kameliendame" und Giuseppe Verdis Oper "La Traviata".
In Wirklichkeit war sie ein ungebildetes Bauernmädchen aus der Normandie, das nach einer traumatischen Kindheit mit etwa 15 Jahren nach Paris gekommen ist und innerhalb weniger Jahre zu einer der schönsten, gebildetsten und kostspieligsten Kurtisanen von Paris wurde.



Alexandre Dumas, der ihr mit seinem Roman und dem etwas später entstandenen Theaterstück ein Denkmal gesetzt hat, gehörte zu ihren Liebhabern, ebenso Franz Liszt. Marie Duplessis führte einen Salon, in dem einige der klügsten Männer Frankreichs zu Gast waren und hatte keinesfalls nur Schlafzimmertalente.
Mit nur 23 Jahren ist sie am 3. Februar 1847 in Paris an der Tuberkulose gestorben. Viele Menschen besuchen noch heute ihr Grab auf dem Pariser Montmartre-Friedhof.
Ich bin einer davon.


Aber was, wenn Marie gar nicht gestorben ist? Was, wenn ihr in buchstäblich letzter Minute ein Angebot gemacht worden wäre das sie nicht ablehnen konnte? Das Angebot ewiger Jugend,
ewiger Schönheit, ewigen Lebens und - ewiger Gesundheit?
Was, wenn Marie Duplessis nicht hätte ablehnen können und unter uns lebte? Unerkannt und mit wechselnden Identitäten?
In Gautiers Geschichte lebt Marie mittlerweile in New York, nennt sich "Alphonsine" (was tatsächlich Marie Duplessis Taufname war) und arbeitet für eine Kunstgalerie.
Wie alle modernen Autoren von Vampirromanen räumt Gautier mit Vampirmythen auf die der Handlung ihrer Geschichte im Wege stehen und ersetzt sie durch Neue oder interpretiert sie auf moderne Weise.
Aseptisch und politisch korrekt sind ihre Vampire nicht: es wird tatsächlich getötet, und das mit Freude und Lust. Und da wir bei der Lust sind: wer mit sehr deutlichen Beschreibungen erotischer Vorgänge Probleme hat, sollte das Buch meiden wie der Vampir die Sonne. Es ist Teil der gautierschen Vampirwelt das nach erfolgter Bluttat geschnackselt wird was das Zeug hält.
Das nervt nach einiger Zeit ein bisschen und kann getrost überlesen werden. Ansonsten ist das buch durchaus unterhaltsam, vor allem wenn man eine Affinität zu Oper und Literatur hat und sich ein wenig in der Biographie von Marie Duplessis auskennt.
Es ist ein bisschen wie in "The Big Bang Theory": auch naturwissenschaftliche Versager wie ich lieben die Serie, aber Physiker haben mehr Spaß daran, weil sie Witze und Anspielungen verstehen von denen ich nicht mal mitkriege dass sie gemacht wurden.
Ich empfehle das Buch Allen, die sich schon immer gefragt haben, wie Vampire in einer modernen Welt mit all ihren Überwachungskameras, ihren Facebookeinträgen und ihrem Internet das nie etwas vergisst überhaupt ihre Tarnung wahren könnten und die spaß an einer Geschichte habe, in der sich historische Fakten, literarische Verarbeitung und Fantasyelemente vermischen.
Ach ja: Englisch sollte man können, denn bisher ist das Buch nicht auf Deutsch erschienen, und ich denke auch nicht, dass das irgendwann mal der Fall sein wird.

http://www.blooddiva.com/

... link